Was ist eigentlich ein Risiko?


Medizinprodukte müssen sicher sein. Nicht nur Patienten und Nutzer erwarten sichere Produkte, auch der Gesetzgeber fordert dies von den Herstellern. Um die Sicherheit einschätzen zu können, muss das Restrisiko bekannt sein. Dieser Artikel erläutert den Begriff Risiko und macht an einem Beispiel deutlich, was Risiko für den Einzelnen bedeutet.

Die Norm ISO 14971 Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte definiert Risiko als

Kombination der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Schadens und des Schweregrades dieses Schadens.

Das ist gar nicht so einfach zu verstehen, denn Schaden und Schweregrad sind weitere Begriffe, die in dieser Norm definiert und berücksichtigt werden müssen:

Schaden: Physische Verletzung oder Schädigung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung von Gütern oder der Umwelt

Schweregrad: Maß der möglichen Auswirkungen einer Gefährdung

Risiko ist also eine Kombination aus einem Schweregrad und einer Wahrscheinlichkeit.

Was ist ein Risiko?

Die Wahrscheinlichkeit gibt dabei die Häufigkeit1 des Auftretens einer Verletzung, einer Schädigung usw. an.

Betrachten wir Risiken unseres Alltags: Wir steigen ins Auto. Wie hoch ist das Todesrisiko oder das Verletzungsrisiko? Zieht man hierzu Statistiken2 heran, kann man daraus interessantes Zahlenmaterial entnehmen:

Das Kraftfahrt-Bundesamt gibt für 2018 an:

Jahresfahrleistung aller Fahrzeuge: 735,984 Milliarden km
Mittlerer Fahrzeugbestand: 45.956.000 Fahrzeuge
Durchschnittliche Jahresfahrleistung: 13.727 km

Der Unfallstatistik des Statistischen Bundesamts kann man folgende Zahlen entnehmen:

Unfälle gesamt: 2.636.468
Davon Unfälle mit Personenschaden: 308.721
Getötete: 3.275
Schwerverletzte: 67.967
Leichtverletzte: 328.051

(Da mehrere Personen in einen Unfall verwickelt sein können, wird nachvollziehbar, dass es weniger Unfälle mit Personenschaden gibt als insgesamt Verletzte.)

Bezieht man die Unfälle auf die Jahresfahrleistung aller Fahrzeuge, erhält man:

Unfälle gesamt: 3.582,2 / Milliarde km
Davon mit Personenschaden: 419 / Milliarde km
Getötete: 4,45 / Milliarde km
Schwerverletzte: 92,3 / Milliarde km
Leichtverletzte: 445,7 / Milliarde km

Gehen wir von 25.000 km Jahresfahrleistung aus, können wir – bezogen auf das Jahr 2018 – Wahrscheinlichkeiten berechnen, innerhalb eines Jahres in einen Unfall verwickelt zu werden:

P( Unfall ) = 0,089556
P( Unfall mit Personenschaden ) = 0,010487
P( Tod ) = 0,000111
P( schwer verletzt ) = 0,002309
P( leicht verletzt ) = 0,011143

Sind wir Vielfahrer und gehen von einer Jahresfahrleistung von 100.000 km aus, erhöht sich das Unfallrisiko entsprechend um den Faktor 4:

P( Unfall ) = 0,358224
P( Unfall mit Personenschaden ) = 0,041947
P( Tod ) = 0,000445
P( schwer verletzt ) = 0,009235
P( leicht verletzt ) = 0,044573

Aber Achtung: Wenn Sie ein Mann sind, dann sieht es tatsächlich noch schlechter aus, denn ca. 75 % der 2018 tödlich verunglückten Menschen in Deutschland waren Männer. Genauso ist die Wahrscheinlichkeit davon abhängig, ob Sie Vielfahrer oder Wenigfahrer sind, welches Alter Sie haben und welche Strecken Sie fahren.

Zum Vergleich: Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe eines Jahres vom Blitz getroffen zu werden, liegt in Deutschland bei ca. 0,00000005. Die Wahrscheinlichkeit, als Autofahrer mit 25.000 km Fahrleistung pro Jahr im Laufe eines Jahres zu sterben, ist also rund 2.200 Mal höher.

Was ist ein Risiko - Verkehrsunfall

Sie sehen, ein Ereignis – hier Verkehrsunfall – kann mehrere Risiken hervorrufen:

  • Das Risiko, dabei ums Leben zu kommen,
  • das Risiko, schwer verletzt zu werden oder
  • das Risiko, leicht verletzt zu werden.

Dabei sind alle Risiken interessant, die ein Ereignis auslöst. Nur den Worst Case zu betrachten und die anderen Risiken unter den Tisch fallen zu lassen ist kein gutes Vorgehen, sondern verstößt gegen 2 wichtige Prinzipien des Risikomanagements für Medizinprodukte3:

  • Es sollen immer alle Risiken betrachtet werden.
  • Alle Risiken sind so weit wie möglich zu reduzieren4.

Außerdem erkennen Sie: Ein Risiko bezieht sich immer auf einen Schweregrad (Tod, schwere Verletzung, leichte Verletzung) und hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit, einzutreten. Es ist also unsinnig, Schweregrad und Wahrscheinlichkeit zu multiplizieren.

Im nächsten Artikel werden wir uns mit der Sprache des Risikomanagements auseinandersetzen.


  1. Genauer: die relative Häufigkeit einer großen Zahl unabhängiger Zufallsexperimente 

  2. Quelle Fahrleistung und Fahrzeugbestand: Kraftfahrt-Bundesamt
    Quelle Unfälle: Statistisches Bundesamt 

  3. Die Medical Device Directive (MDR) gibt hierzu im Anhang I, Kapitel I, Punkt 8 an: "Alle bekannten und vorhersehbaren Risiken sowie unerwünschten Nebenwirkungen sind so weit wie möglich zu minimieren und müssen im Vergleich zu dem für den Patienten und/oder Anwender bei normalen Verwendungsbedingungen aus der erzielten Leistung des Produkts ermittelten Nutzen vertretbar sein." 

  4. Hierbei soll der Stand der Technik berücksichtigt werden. 

Die Sprache des Risiko­managements
Über den Autor

Thomas Kammerer ist Softwarearchitekt und Berater bei imarqio in Nürnberg. Schon früh begeisterte er sich für die Programmierung von Systemen, vor allem für strukturelle Lösungsideen. Seit über 25 Jahren entwickelt er nun Systeme für die Mess- und Medizintechnik. Er war als Softwareentwickler, Softwarearchitekt, Trainer und Berater, Team-, Entwicklungsleiter und als CTO tätig. Dabei hat er sowohl technische und methodische als auch organisatorische Fallstricke erlebt – und manchmal sogar gemeistert.

Als Spezialist für die Entwicklung medizinischer Software hat Thomas Kammerer viele Projekte im sicherheitsrelevanten und regulatorischen Umfeld unterstützt. An der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm ist er Lehrbeauftragter für die Themen Software-Engineering und Objektorientierte Programmierung.

Thomas Kammerer freut sich darauf, mit Ihnen Lösungen zu erarbeiten und seine Erfahrungen mit Ihnen zu teilen.

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